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Die Aarhus-Konvention - Keimzelle für eine umfassende Beteiligung der Zivilgesellschaft

von Michael Zschiesche, UfU

Einleitung

Die Aarhus-Konvention, benannt nach der dänischen Stadt Aarhus, in der die Unterzeichnung des Vertrages im Juni 1998 stattfand, ist die erste völkerrechtliche Vereinbarung, die jeder Person Rechte im Umweltschutz zuschreibt. Die Konvention ist von keiner deutschen Regierung bislang gemocht worden. Von Helmut Kohl konnte man das - zumal im Wahljahr 1998 - nicht erwarten. Aber dass die damalige Umweltministerin und jetzige Kanzlerin Merkel nicht einmal die Konvention - auch nach starkem Entgegenkommen aller Seiten auf deutsche (Industrie)interessen - unterzeichnete, wurde allgemein als Beleidigung des Verhandlungsprozesses und der beteiligten Akteure empfunden. Im Dezember 1998 heilte die junge Rot-Grüne Regierung den Makel, dass Deutschland der einzige Mitgliedstaat der Europäischen Union war, der diesen bahnbrechenden völkerrechtlichen Vertrag nicht unterschrieb. Genützt hat es den Zielen und der späteren Umsetzung in deutsches Recht nicht allzu viel. Auch unter Rot-Grün wurde in erster Linie Wirtschafts- und Industriepolitik betrieben. Partizipation, noch dazu im Umweltschutz, sollte nicht - zumindest offenkundig - gestärkt werden. Dabei ist die Aarhus-Konvention ein Juwel des internationalen Vertragsregimes, ein Modell, welches auch für andere Bereiche sinnvoll und notwendig erscheint.

Der Geist von Aarhus - was ist das?

Die Konvention zeichnet sich durch viele verfahrensregulative Elemente, die aus dem deutschen Verwaltungsrecht seit Jahren bekannt sind, aus. Allerdings wollten die Väter und Mütter der Konvention Partizipation nicht darauf reduzieren, nur bei bestimmten Verwaltungsverfahren beteiligt zu werden. Das Ziel der Konvention bestand eigentlich darin, dem Demokratiegedanken insgesamt im Umweltschutz auf allen Ebenen mehr Raum zu verschaffen. Nur um es an wenigen Stellen konkret und für einen völkerrechtlichen Vertrag auch umsetzungsreif zu verorten, mussten dann bestimmte Rechte sehr konkret für anwendbare Fälle klar und präzise gefasst werden. Es wird bei entsprechenden Anlässen viel und häufig vom Geist der Aarhus-Konvention gesprochen. Dieser Begriff meint bekanntlich nicht nur die Verstandesebene. Unabhängig wie weit man nun diesen Begriff fassen will, so wird doch daran deutlich, dass mit dem Partizipationsbegriff der Aarhus-Konvention gerade der auf Einengung in ein Korsett an Verfahrensvorschriften praktizierte deutsche Ansatz nicht gemeint war. Das Ziel von Aarhus war vielmehr eine von Fairness und Gerechtigkeit geprägte, offene Partizipation, die sich ihrer Schwächen und Unzulänglichkeiten bewusst ist, aber dennoch versucht, ausgewogen und homogen die Beteiligung aller zu gewährleisten. Eine Beteiligung, die nicht aus Zeitmangel als Alibiveranstaltung runtergeritten wird, lieblos und frustrierend, sondern wo die wirklich wichtigen Fragen verhandelt und diskutiert werden können. Im deutschen Umweltrecht fehlen derzeit diskursive und die Partizipation fördernde Verfahrenselemente. Es gibt für die Verwaltung auf keiner Ebene in Deutschland einen Grund, auf Partizipation zu setzen. Sich im Interesse des Bürgers Gedanken zu machen, auf ihn zuzugehen, wird nicht honoriert. Nicht einmal Förderprogramme wie beispielsweise vom französischen Umweltministerium zur Verbreitung innovativer Partizipationsansätze dort seit 2002 initiiert, existieren in Deutschland. So ist es nicht verwunderlich, dass in Deutschland keine neue Partizipationskultur entstehen kann, die aber gebraucht würde und die durch die Aarhus-Konvention eigentlich einen großen Impulsgeber besitzt.

Information, Beteiligung, Klage - und was noch?

Die Aarhus-Konvention wird gemeinhin auf ihre drei wichtigen Säulen, Zugang zu Umweltinformationen, Zugang zu Beteiligung an Verwaltungsverfahren sowie dem Zugang zu Gerichten fixiert und dabei auch reduziert. Was häufig vergessen wird, sind einige Bereiche, die von der Konvention auch umfasst sind, die aber wesentlich seltener genannt werden: So sieht die Aarhus-Konvention in Art. 7 die Öffentlichkeitsbeteiligung auch bei umweltbezogenen Plänen, Programmen und Politiken vor. Es wird normiert, dass die Öffentlichkeit auch in "einem transparenten, fairen Rahmen während der Vorbereitung umweltbezogener Pläne und Programme beteiligt wird" und sogar bei der Vorbereitung umweltbezogener Politiken und entsprechenden Rechtsvorschriften. Bislang ist die Öffentlichkeit in Deutschland in Gesetzgebungsprozesse, die ja praktisch ausschließlich von der Exekutive und nicht wie in Gesellschaften, die durch Gewaltenteilung gekennzeichnet sind, von den Parlamenten verabschiedet werden, nicht hinreichend einbezogen. Zwar verschicken Ministerien hin und wieder im Vorfeld von Gesetzegebungsprozessen an einen weiten Kreis von Interessenvertretern und Lobbyorganisationen die Gesetzestexte, aber nach einem einheitlichen Standard wie in Österreich oder in Großbritannien erfolgt dies in Deutschland derzeit nicht. Hätte man die Aarhus-Konvention buchstabengemäß in Deutschland umgesetzt, müsste man aber die Öffentlichkeit zum Beispiel via Internet auch bei Gesetzentwürfen vor der Befassung im Parlament informativ beteiligen. Die Aarhus-Konvention wollte dabei nicht unterscheiden zwischen Bundesgesetzen und Vorschriften auf der unteren Ebene. Deshalb fordert die Konvention in Art. 8 die Öffentlichkeitsbeteiligung bei durch Behörden vorzubereitenden exekutiven Vorschriften und sonstigen allgemein anwendbaren rechtsverbindlichen Bestimmungen die Beteiligung auch auf kommunaler Ebene.

Modell für andere Bereiche - was ist damit gemeint?

Kein anderer völkerrechtlicher Vertrag im Umweltbereich überlässt BürgerInnen und Interessenvertretern die Chance, die Einhaltung des Umweltrechts zu kontrollieren. Leider ist durch die unzureichende Umsetzung der Konvention in der Bundesrepublik Deutschland die Sanktionsgewalt der Zivilgesellschaft noch äußerst eingeschränkt. Entsprechende Beschwerden bei der Europäischen Union sowie Klagen vor dem europäischen Gerichtshof (EuGH) sind deshalb von Umweltorganisationen anhängig gemacht worden. Dennoch ist die Dimension der Aarhus-Konvention einleuchtend. Die Zivilgesellschaft soll das staatliche Handeln kontrollieren, nicht die Staaten selbst. Wer Regeln verletzt, muss mit Sanktionen rechnen, notfalls mittels Gerichten. Es wäre grundsätzlich hilfreich, wenn alle völkerrechtlichen Übereinkommen nicht nur im Umweltschutz vorsehen würden, dass bei Nichteinhaltung bestimmter normierter Regelungen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen ein Klagerecht gegen die jeweilige Regierung bis hin zu Schadenersatzforderungen zustehen würde. Hätte man dies zum Beispiel im Bereich Klimaschutzregime des Kyotoprotokoll bereits verankert, wären viele Regierungen heute gezwungen, die nationalen NGO`s großzügig finanziell zu entlohnen. Wahrscheinlich hätte aber mit einem solchen Mechanismus ein wirksamer Anreiz bestanden, die CO2-Ziele tatsächlich auch zu erfüllen. Und sicher gilt dies auch in ähnlicher Weise für andere Bereiche, beispielsweise dem Städtebau, dem Verbraucherschutz oder im Gesundheitswesen. Die normativen Elemente, Prinzipien und Regelungen der Aarhus-Konvention würden sich überall gut eignen, Partizipation in der Praxis zu gewährleisten. Aber auch bei internationalen Organisationen, wie zum Beispiel der Welthandelsorganisation (WTO), der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) würden die Elemente der Beteiligung und Klage sowie darüber hinaus faire Beteiligungsstandards neue Impulse der Demokratie schaffen können und verhindern, dass sich Eliten ohne öffentliche Kontrolle verhalten.

Wer profitiert von der Aarhus-Konvention?

Zuletzt bleibt die Frage, wer kann derzeit überhaupt von der Aarhus-Konvention profitieren? Die Konvention richtet sich an Bürger und Bürgerinnen und ihre Interessenvertreter, den Nichtregierungsorganisationen (NGO`s). Sie haben die Rechte und Pflichten, die sich aus der Konvention ergeben. Profitieren kann demnach von der Konvention der örtliche Umweltverband genauso wie die Bürgerinitiative, der betroffene Bürger oder die betroffene Bürgerin. In der Konvention wird der Personenkreis mit zwei Definitionen beschrieben. Es wird je nach Zusammenhang von "Öffentlichkeit" und auch von "betroffener Öffentlichkeit" gesprochen. Öffentlichkeit bedeutet eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen. Mit betroffener Öffentlichkeit wird umschrieben, wer voraussichtlich direkt von bestimmten Vorhaben betroffen ist. Es reicht dabei schon, sein Interesse an einem bestimmten Vorhaben zu artikulieren. um als betroffene Öffentlichkeit zu gelten. Da die Konvention auch die Rechte künftiger Generationen in den Inhalt der Aarhus-Konvention einbezieht, profitieren auch Kinder und sogar künftige Generationen von den gewährten Rechten. Aber, nicht alles, was gewährt wird, ist auch deutsche Gesetzesrealität. Viele Ziele der Konvention sind in Deutschland unzureichend umgesetzt. So will die Konvention die Erlangung von Umweltinformationen nicht davon abhängig machen, ob die Umweltinformation von einer privaten Stelle oder einer öffentlichen Stelle erbracht wird, wenn es sich um Aufgaben der Daseinsfürsorge mit Bezug zur Umwelt handelt. Fragt man aber die Unternehmen wie zum Beispiel RWE, EON, die Deutsche Telekom, die Deutsche Post, Veolia oder auch die Deutsche Bahn direkt an, ob sie das Umweltinformationsgesetz (UIG), welches ein Ergebnis der Aarhus-Konvention in Deutschland ist, auf ihr Unternehmen anwenden, zeigen alle diese Unternehmen auf die anderen und verneinen dies. Und das, obwohl die Tatbestandsvoraussetzungen im UIG eindeutig geregelt sind.

Zusammenfassung

Die Aarhus-Konvention ist bereits heute ein wichtiger Baustein im Umweltvölkerrecht für die Sicherung von Mindeststandards im Umweltschutz durch die Teilhabe von Rechten. Die Ausweitung des Vertrages auf möglichst viele UNO-Staaten ist erklärtes Ziel der 40 Erstunterzeichner. Der Ruf nach Öffentlichkeitsbeteiligung wird vor allem auf die Arbeitsweise internationaler Organisationen nicht ohne Echo bleiben. Aber auch andere Bereiche wie der Städtebau sowie der Klimaschutz können von der Konvention lernen. Das Zustandekommen der Konvention ist maßgeblich durch den Druck und das Interesse von osteuropäischen Nichtregierungsorganisationen erreicht worden. Dies hat dazu geführt, dass die Aarhus-Konvention eine regelrechte Bewegung für Transparenz, Beteiligung und auch Sanktionsmechanismen seitens der Nichtregierungsorganisationen ausgelöst hat.

Die Aarhus-Konvention greift im Kern viele Elemente partizipativer Verfahren, die in Deutschland seit den 70ziger Jahren Verwaltungspraxis darstellen, auf. Sie unterstreicht damit auch, dass es zu rechtsstaatlicher Kontrolle durch Dritte in Verwaltungsverfahren häufig keine Alternative gibt, um das Vollzugsdefizit im Umweltschutz wirksam begrenzen zu können. In einigen Punkten geht die Aarhus-Konvention über deutsche Regelungen hinaus. Sie eröffnet somit dem deutschen Gesetzgeber und allen an Verfahren Beteiligten die Chance, neue kooperative Wege zu gehen und Bilanz zu ziehen, welche Elemente von Entscheidungsverfahren sich in Deutschland bewährt haben und wo die derzeitige Praxis zu kurz greift. In jedem Fall stellt die Aarhus-Konvention in Deutschland eine große Herausforderung vor allem für die durch Deregulierung, Verkürzung der Genehmigungsverfahren, Maßnahme- und Beschleunigungsgesetze durchtränkte Realität sowie umweltrechtswissenschaftliche Diskussion dar.

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