Altlast Forschungspolitik
von Rainer Rilling
Ein neues Etikett macht noch keine neue Politik. Auch wenn das Forschungsministerium inzwischen mit dem Anstrich "Zukunft" versehen worden ist, wird die Chance zur politischen Innovation nicht genutzt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß Ökologie weiterhin Ressortfrage bleibt und auf eine sukzessive, durchgängige Ökologisierung aller forschungspolitischen Handlungsfelder bewußt verzichtet wird.
Schon Matthias Wissmann hatte, als er 1993 kurz beim Forschungsministerium vorbeischaute, in seinem Programmpapier vom "Zukunftsministerium" BMFT gesprochen und damit auf eine Formel der sozialliberalen Sprachpolitik der 70er Jahre zurückgegriffen. Die neue Bundesregierung hat diese Fassung der ministeriellen corporate idendity ins Zentrum des Initialritus des neuen Hoffnungsträgers Rüttgers gestellt.
Was fehlt in dieser Rede ist die einfache Frage: Um wessen Zukunft soll es in der Forschungspolitik gehen? Um die der Reichen oder die der Armen? Um die der Frauen oder der Männer? Um die des Nordens oder des Südens? Um die der Natur oder um die der Naturzerstörung? Geht es um Gleichheit oder wird Ungleichheit befördert? Wird demokratische Teilhabe unterstützt oder untergraden? Welche Folgen hat die Forschungs- und Technikpolitik heute, welche können wir uns leisten, welche darf und muß sie haben? Wie ist ihr Nutzen und wie ihr Schaden verteilt?
Tradition des Politikverzichts
Ein Abbau der großen Staatstechnik des Weltraum-, Atom- und Militärsektors, welche seit den 50er Jahren die Idendität der diversen einschlägigen Ministerien und ihrer Politik bildeten, ist seit Ende der 80er Jahre evident, aber schleppend. Immer noch werden in der Minute 7.000 Mark für militärische Forschung ausgegeben, ist das größte Technikprojekt der Eurofighter, werden ständig neue Großprojekte der Luft-, Raumfahrt- und Verkehrsindustrie, der Atom- und Rüstungsindustrie lanciert und zum Teil mit beträchtlichen öffentlichen Mitteln vorangetrieben. Diese fiskalisch extrem restriktive und politisch kaum problematisierte Orientierung ist die eigentliche Verpflichtungsermächtigung der gegenwärtigen Forschungspolitik. Die neuen, als "strategisch" definierten Felder der Bio-, Werkstoff-, Fertigungs- und Informationstechnologien werden im Gegensatz zu den Großtechnologien alten Typs fast ausschließlich in privatindustrieller Eigenregie entwickelt. Die Reaktion darauf ist Politikverzicht: Forschungspolitik reduziert sich, pflegt sie nicht bloß das Erbe der alten großen Staatstechnik, auf subsidiäre Forschungsfinanzierung und das Agieren im Kontext (betreibt also die Kommerzialisierung der Grundlagenforschung, etabliert Initialmärkte, arrangiert kooperative Verbundforschung und inszeniert Akzeptanzdiskurse). Weder "harte" Steuerung durch Geld und Recht noch "weiche" durch entschiedene Initiativen zur Erneuerung der politischen Kultur der Forschungslandschaft gehören zum politischen Aktionshorizont der CDU-Forschungspolitik.
In der konservativ-liberalen Regierungszeit sind rund 85 Prozent der gesamten nationalen (also privaten wie öffentlichen) Forschungsmittel auf einen ökonomischen Verwendungszweck ausgerichtet worden. Gerade drei Prozent dieser Mittel entfallen auf bundesfinanzierte Forschungen, die sozialen und ökologischen Zielsetzungen verpflichtet sind. Der Rest ist für Rüstungs- und Grundlagenforschung. Welches der wesentlich wirtschaftlichen Probleme der Massenarbeitslosigkeit, des ökologischen Umbaus, der Angleichung der Lebensverhältnisse kann dadurch gelöst werden, daß dieser Anteil im Zeichen der anhaltenden Debatte um den "Standort Deutschland" auf 87 Prozent, 89 Prozent oder 92 Prozent gesteigert wird? Keiner der Freunde des deutschen Standorts hat bisher diese simple Frage nach derlei Grenznutzenversprechungen gestellt - sie ist aber die Kernfrage der technikpolitischen Standortdebatte.
Beschränkungen ökologischer Forschung
Doch auch die unstrittige Akzentuierung ökologischer Probleme und Forschungen, welche die deutsche FuT-Politik der letzten Jahre bei aller Kritik an der kärglichen Dotierung positiv auszeichnet, ist in zumindest, dreifacher Hinsicht grundlegend beschränkt:
Diese Politik ist nahezu allein auf jene Probleme der Klimaerwärmung, der Zersetzung der Ozonschicht und der Emission giftiger Stoffe gerichtet, welche die entwickelten Industriestaaten des Nordens unmittelbar betreffen bzw. die direkt von ihnen hervorgebracht wurden und vernachlässigt demgegenüber jene schwerwiegenden Probleme der Ernährung, des Wohnens, der sozialen Verelendung, des Verlustes der Artenvielfalt, der Verschlechterung des Bodens, der Entwaldung, der Wasserverschmutzung und -verknappung oder der Luftverschmutzung, also jener globalen Probleme, die vorrangig den Süden betreffen;
Projektzuschnitt und Förderungsdesign dieser Politik konzentrieren sich (was das BMFT Anfang 1993 selbst konzedierte: zu 80 Prozent) auf nachsorgende und additive Technik, leben also geradezu von den Beschädigungen von Mensch und Natur und müssen insoweit gleichsam an diesen interessiert sein, wollen sie prosperieren, statt sie vorsorgend zu vermeiden;
Sie folgt unverdrossen der alten Ratio bundesdeutscher angebotsorientierter Forschungspolitik, soziale Probleme technisch zu lösen. Die blinde oder bestenfalls einäugige ökologische Wissenschaft, die einem solchen Ideal verpflichtet ist, hat jüngst Wolfgang Sachs eindrucksvoll beschrieben: "Satellitenbilder, die entstehen, wenn die Vegetationsdecke des Planeten abgetastet wird; Computer-Graphiken, die über den Zeitablauf Kurven aufzeichnen, die in Wechselwirkung miteinander agieren; Schwellenwerte, die als globale Normen hochgehalten werden: das ist die Sprache der globalen Ökologie geworden. Sie entwirft dabei eine Realität, welche aus Bergen von Daten besteht, aber nicht aus Menschen. Diese Daten sagen nichts darüber aus, wieso die Tuaregs gezwungen sin, ihre letzten Wasserlöcher auszuschöpfen oder warum die Deutschen so darauf versessen sind, über ihre Autobahnen zu rasen. Sie geben keine Hinweise, wem das auf dem Amazonas verschiffte tropische Nutzholz gehört oder welche Industrien von der Verschmutzung des Mittelsmeers profitieren. Sie bleiben stumm, wenn man nach er Bedeutung des Regenwaldes für Indianerstämme fragt oder nach dem Wert von Wasservorkommen in einem Land Arabiens. Angeboten wird ein Wissen, das gesichts- und ortlos ist, eine Abstraktion, die einen beträchtlichen Preis mit sich schleppt: sie unterschlägt fundamentale menschliche Realitäten wie Kultur, Macht und Tugend. Dieses Wissen liefert Daten, aber keinen Kontext; es zeigt Diagramme, aber keine Akteure; es kennt Kalkulationen, aber keine Ethik."
Sozialökologische Forschungspolitik
Weder Wissenschaft noch der Wirtschaft bringen sozialökologische Zielsetzungen von selbst hervor. Ihre Akteure sind an Erkenntnis bzw. Profiten interessiert, nicht am Natur-Gesellschafts-Verhältnis. Eine sozialökologische Forschungspolitik muß gesellschaftlich konstituiert und politisch durchgesetzt werden. Das wird nicht möglich sein, ohne die Differenz zwischen ihr und einer vielfach verkürzten etablierten Umweltforschungspolitik deutlich herauszuarbeiten.