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Die Chemie muss stimmen

von Renate Künast, Jürgen Trittin, Fritz Kuhn, Thea Dückert

I. Chemieindustrie vor großen Herausforderungen

Mit der grünen Politik der ökologischen Modernisierung wollen wir eine Schlüsselbranche unseres Landes zukunftstauglich machen: die Chemieindustrie. Der Blaumann muss grün werden, und auch der Weißkittel in den Raffinerien, Chemiefabriken und Laboratorien. So schaffen wir zukunftssichere Arbeit in einer alten Branche. Nirgendwo anders bündeln sich die Herausforderungen vor denen wir stehen so sehr wie in der Chemieindustrie.

Die Herausforderungen, vor denen die Menschheit in diesem Jahrhundert steht, sind gewaltig: Es gilt eine Klimakatastrophe zu verhindern und Schluss zu machen mit einem umweltschädlichen Ressourcenverbrauch. Es geht darum, globalen Hunger und weltweite Armut zu überwinden und einer wachsenden Weltbevölkerung eine Grundlage zu geben für Wohlstand und Entwicklung. Es geht um nicht weniger als darum, anders zu leben und zu wirtschaften. Unsere Wirtschaft braucht ein neues Fundament.

Die gegenwärtige Krise hat das Bewusstsein dafür geschärft, dass Investitionen in die ökologische Erneuerung auch Investitionen in die ökonomische Erneuerung sind. Mit einem grünen New Deal wollen wir die Grundlage für Aufschwung, Jobs und Wettbewerbsfähigkeit legen. Wir sind überzeugt: Die deutsche Wirtschaft wird dann erfolgreich sein, wenn sie Ökonomie und Ökologie zusammen denkt.

Die Chemische Industrie trägt in erheblichem Maße dazu bei, Treibhausgase zu emittieren. Kein Wunder, denn die wichtigste Ressource der chemischen Industrie ist nach wie vor das Erdöl. Ihre Produktionsprozesse sind aber auch jenseits der Klimaproblematik ausgesprochen ressourcenintensiv. Die Papier- und Zellstoffproduktion verbraucht wie viele andere Bereiche der Chemie große Mengen an Wasser. Die industrielle Produktion wichtiger Chemikalien wie Ammoniak, Schwefelsäure oder Chlor erzeugt Luftschadstoffe, die aufwendige Abgasreinigungsverfahren erforderlich machen.

Aber die Chemische Industrie hat auch ein gewaltiges Potential zur Lösung drängender Probleme. Neue Werkstoffe setzen auf neue chemischen Verbindungen und können dazu beitragen schwere, endliche und nur mit erheblichen Umweltfolgen abzubauende Rohstoffe zu ersetzen. Biotechnologische Verfahren ersetzen umweltschädliche Produktionsprozesse. Recycling ist ohne chemische Prozesse in den seltensten Fällen möglich.

Vom Teil des Problems zum Teil der Lösung

Wenn wir in der Zukunft angesichts wachsender Weltbevölkerung und knapper und teuerer werdender Rohstoffe mehr aus weniger machen müssen, brauchen wir dafür eine leistungsfähige Chemieindustrie. Chemie kann helfen Gebäude zu dämmen, Solarstrom zu erzeugen oder den Verkehr sauberer zu machen. Ein Elektroauto wird nur mit einer leistungsstarken und effizienten Batterie erfolgreich auf dem Markt bestehen können.

Dafür muss sie aber vom Teil des Problems zum Teil der Lösung werden. Die chemische Industrie war eine Schlüsselindustrie in der Industriegesellschaft. Sie hat in den 60er und 70er Jahren erheblich zum Legitimationsverlust industriegesellschaftlicher Entwicklungspfade beigetragen. Wir wollen sie zur Schlüsselindustrie einer nachhaltigen Zukunftsökonomie machen. Deshalb wollen wir Anreize geben, veraltete Strukturen schneller zu überwinden und gleichzeitig dazu beitragen, neue grüne Potentiale zu erschließen.

Die Chemieindustrie ist in Deutschland ein erheblicher Arbeitsfaktor. Sie gibt rund 440.000 Menschen Lohn und Brot. Auch deshalb sind wir gut beraten, eine leistungsfähige Chemieindustrie in Deutschland zu halten und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Bisher setzen die deutschen Chemie-Unternehmen für Ihr Wachstum vorwiegend auf Export in die EU und die aufstrebenden Staaten Asiens. Unter der globalen Rezession leidet die exportabhängige Chemie überdurchschnittlich stark. Der Trend nach Osten hin zu den Erdölvorkommen und zu den wachsenden Abnehmerindustrien Chinas und Indiens wird sich während und nach der Krise weiter fortsetzen. Dies ist eine Herausforderung für den Standort Deutschland.

Unser Ziel ist es, in Deutschland Arbeitsplätze in der chemischen Industrie zu erhalten und neu zu schaffen. Die Themen Klima, Umwelt und Ressourcenknappheit sind der Schlüssel zu neuen Geschäftsfeldern. Je früher sich die deutsche Chemieindustrie wandelt hin zur Green Chemistry und auf Nachhaltigkeitskurs einschwenkt, desto besser ist dies für ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit und für Arbeitsplätze in Deutsachland.

Strategische Wirtschaftspolitik für Nachhaltigkeit

Das Verhältnis von GRÜNEN und Chemie war nie konfliktfrei. Bohpal, Sandoz und Seveso stehen mit an der Wiege der grünen Partei. Auch künftig werden wir unsere Stimme erheben, wenn unsere natürlichen Ressourcen verschmutzt und die Gesundheit der Menschen - gerade auch in den Entwicklungsländern - durch Geschäftspraxis chemischer Betriebe in Mitleidenschaft gezogen werden. Aber unserer festen Überzeugung nach sind die gemeinsamen Schnittstellen groß genug, um auch Belastungen auszuhalten.

Wir zielen mit grüner Industriepolitik bewusst auf die vielen kleinen und mittleren Betriebe und deren Rahmenbedingungen. Aber wir sagen auch: Auch der Großindustrie wollen wir in Deutschland eine Zukunft geben. Die Strategie der ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist alternativlos. Wir Grünen setzen deshalb auf eine strategische Wirtschaftspolitik, mit der wir auch die Chemieindustrie auf Zukunftskurs bringen wollen. Denn angesichts des erheblichen Zeit- und Problemdrucks können wir die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht einem ungesteuerten Wirken von Marktkräften überlassen. Aber wir können Marktkräfte und die Gesetze von Angebot und Nachfrage klug nutzen. Unsere Instrumente einer strategischen Wirtschaftspolitik sind eine konsequente Wettbewerbspolitik, ein innovatives Ordnungsrecht, die Abschaffung klima- und umweltschädlicher Subventionen, öffentliche Investitionen sowie Marktanreizprogramme. So schafft grüne Politik die Rahmenbedingungen für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg und für Arbeitsplätze mit Zukunft.

II. Grüne Leitplanken für eine nachhaltige, wettbewerbsfähige Chemieindustrie

Die Chemische Industrie spielt bei der ökologischen Modernisierung des verarbeitenden Gewerbes eine entscheidende Rolle: Grüne Industriepolitik fördert den Wandel hin zu einem weitgehend CO2-neutralen Wirtschaftssystem. Dafür brauchen wir eine moderne und leistungsfähige Chemische Industrie. Die Chemische Industrie ist im normalen Alltag der Menschen zwar kaum sichtbar, ihre Produkte begegnen uns aber täglich. Als Plastiktüte im Supermarkt, als Medikament oder Shampoo, als Handygehäuse oder Leichtbauteil im Auto. Die Entwicklung effizienter Kreislaufsysteme, die die Wiederverwertung von Rohstoffen attraktiver macht, kann nicht ohne innovative Lösungen der Chemie gelingen. Wir wollen, dass die deutsche Chemieindustrie Partner und Vorreiter auf dem Weg zur nachhaltigen Wirtschaft wird. Dafür geben wir Anreize, veraltete Strukturen schneller zu überwinden und helfen gleichzeitig, neue grüne Potentiale zu erschließen.

Grüne Industriepolitik heißt, dem überfälligen Strukturwandel eine Richtung zu geben. Dazu gehört auch, dass wir nicht die Augen vor Risiken etwa bei der Nanotechnologie verschließen, sondern uns ihnen stellen und sie bearbeiten. Das gilt auch generell für den verantwortlichen Umgang mit Chemikalien. So war aus unserer Sicht die Einführung der EU-Chemikalienverordnung REACH unumgänglich. In den REACH-Verhandlungen haben wir GRÜNE uns im Interesse von Verbrauchern und Umwelt für einen transparenten und der Vorsorge verpflichteten Umgang mit Chemikalien eingesetzt - häufig im Konflikt mit Vertretern der Industrie. Letztlich konnten wir uns nicht in allen Punkten durchsetzen. So werden viele der auf dem Markt befindlichen Stoffe nach wie vor nicht ausreichend erfasst. In der Summe stellen wir aber fest: Es war richtig, der Industrie die Verantwortung für eine umfassende Erfassung und Beurteilung von Chemikalien und deren Risiken zu übertragen.

Trotz des anfänglichen Widerstands der Branche hat diese Reform richtige Modernisierungsimpulse gesetzt. REACH wird sich als Innovationstreiber erweisen. Schon das Verbot von FCKW in der EG 1989 war nicht der Niedergang der chemischen Industrie in Europa, sondern hat die Forschung nach alternativen Kühl- und Lösungsmitteln beschleunigt. Ebenso befördert REACH die Erforschung alternativer, neuer Stoffe durch die Verpflichtung zum Austausch hochgiftiger Chemikalien. Hier gehen Ökonomie und Ökologie Hand in Hand.

Abhängigkeit vom Öl verringern: Trotz Wirtschaftskrise und geringer Nachfrage wächst der Ölpreis schon jetzt wieder stark an und verteuert so die Produktion chemischer Erzeugnisse. Der Preisanstieg wird sich langfristig fortsetzen und die Bilanzen der Unternehmen belasten. Was für den Energie- und den Verkehrssektor längst auf der politischen Agenda angelangt ist, muss auch in der chemischen Industrie in den Fokus: Öl ist teuer und schädlich für's Klima. Auch die Chemie kommt nicht umhin, ihre Forschung und Entwicklung darauf zu fokussieren, so viel Öl wie möglich zu ersetzen. Noch immer basieren mehr als 90% der Produkte der deutschen Chemieindustrie auf Erdöl, einer endlichen und zunehmend kostspieligeren Ressource. Der Anteil nachwachsender Rohstoffe liegt bei unter 10 %. Die Quote nachwachsender Rohstoffe muss rasch gesteigert werden.

Die steigende Erdölnachfrage und damit verbundene Preisanstiege machen Biokraftstoffe der zweiten Generation und Biokunststoffe konkurrenzfähig. Ebenso steigt die Bedeutung von Naturprodukten im Bereich der Pharmazeutika und der Kosmetik. Vor allem die weiße Biotechnologie verschafft der Chemiebranche große Perspektiven jenseits des Erdöls.

Blockadehaltung beim Emissionshandel aufgeben: CO2-Zertifikate spielen für die ökologische Modernisierung der Industrie eine zentrale Rolle. Ab 2013 gelten neue Regeln für den Emissionshandel. Es zeichnet sich bereits ab, dass auf Wunsch der Wirtschaftsverbände - über 90 % der Industrie und 100% der chemischen Industrie von der Versteigerung ausgenommen werden sollen. Wir halten diese weitgehenden Ausnahmeregelungen für falsch. Eine freie Zuteilung sollte im produzierenden Gewerbe immer nur eine im Einzelfall begründetet Ausnahme bleiben, aber nicht, wie jetzt die Regel. Zum einen, weil Carbon Leakage, also die Abwanderung von Industrien und Emissionen aufgrund der Kosten des Emissionshandels, ein viel geringeres Problem ist, als von der Industrie behauptet, wie aktuelle Studien belegen.

Studie des Umweltbundesamts

Zum anderen, weil umwelt- und klimapolitische Regelungen sich schon häufig als Innovationstreiber erwiesen haben, wie z.B. im Falle des deutschen EEG. Richtig ausgestaltet führt der Emissionshandel dazu, dass energieeffiziente Produktionsprozesse, klimaverträgliche Produkte und Erneuerbare Energien konkurrenzfähig werden. Über kurz oder lang wird auch der Rest der Welt konkrete Maßnahmen der CO2-Reduktion ergreifen müssen. Obama hat in den USA endlich erste Schritte für mehr Klimaschutz eingeleitet. Marktchancen haben dann die Unternehmen, die sich als Vorreiter mit klimaschonenden Technologien und Produkten auf den globalen Märkten etabliert haben.

Außerdem setzen wir uns ein für den Abbau von Subventionen für fossile Rohstoffe bei der stofflichen Nutzung sowie die Einführung einer Ressourcenabgabe als Anreiz zur Entwicklung ressourcenschonender Produkte.

Die Chemische Industrie selbst muss grün werden: Mehr Ressourcen- und Energieeffizienz sind die zentralen Themen. Der Ressourceneinsatz in den Produktionsprozessen ist sehr hoch. Eine grüne Chemie muss sich deswegen mit der Frage auseinandersetzen, wie viel Energie, Wasser und Rohstoffe in den chemischen Syntheseprozessen verbraucht werden, wie viel Abfall entsteht, wie gefährlich die Ausgangs, Zwischen- und Endprodukte sind, wie also die Ökobilanz über den gesamten Lebensweg eines Produktes ist. Ein konsequentes ökologisches Stoffstrommanagement kann den Einsatz von Chemikalien insgesamt deutlich verringern. Das in der Wissenschaft mit wachsender Aufmerksamkeit diskutierte Konzept einer "Green Chemistry" bietet mit seinen Grundprinzipien Orientierungspunkte, wie eine solche Verbesserung der ökologischen Gesamtbilanz konkret gelingen kann. Wir unterstützen das Konzept der Green Chemistry, das auf Initiative der Chemie beruht, ausdrücklich.

Wettbewerbsvorteil Energieeffizienz: Die Chemische Industrie zeigt sich verantwortlich für etwa zehn Prozent des Strombedarfs in der Bundesrepublik. Die Senkung des Energieverbrauchs ist ein Hebel zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Ökonomie und Ökologie gehen auch hier Hand in Hand. Ein geringerer Strom- und Energieverbrauch schont Umwelt und Bilanzen der Unternehmen.

Wettbewerbsvorteil Materialeffizienz: In der Chemie machen die Materialkosten fast 40 Prozent der Gesamtkosten eines Betriebes aus, die Personalkosten dagegen nur rund 16 Prozent. Die Kostensenkungsstrategien der letzten Jahre waren einseitig auf den Faktor Personal konzentriert. Dagegen verschenken viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) noch immer die Chancen, die in einer effizienteren Nutzung des Faktors Material liegen: Die Einsparung von Energie und Material erhöht die Produktivität, mit geringeren Kosten kann also mehr produziert werden. Dies steigert die Wettbewerbsfähigkeit gerade gegenüber Volkswirtschaften, die zwar niedrigere Lohnkosten, aber nicht das technische und managementorientierte Innovationspotenzial unserer Volkswirtschaft haben. Hinzukommen die wachsenden Marktchancen ressourceneffizient hergestellter und umweltschonender Produkte.

In unserer Regierungszeit haben wir das Impulsprogramm Materialeffizienz aufgelegt, das Unternehmen erfolgreich zu mehr Wertschöpfung verhilft: Ein Unternehmen bekommt durch eine öffentlich geförderte Beratung durchschnittlich 270.000 Euro an Einsparpotentialen aufgezeigt - in der Regel ohne größere Investitionen. Vielfach reichen relativ einfache Änderungen in Produktionsprozessen oder in der Organisation. Der Fortschrittsbericht zur Nachhaltigkeitsstrategie hat jedoch ans Licht gebracht, dass Deutschland das Ziel einer Verdopplung der Ressourceneffizienz bis zum Jahr 2020 zu verfehlen droht. Wir wollen das Impulsprogramm ausbauen, damit mehr Unternehmen, gerade auch aus der rohstoffintensiven Chemie, profitieren und um Innovationen zur Senkung des Materialeinsatzes systematisch und in der Breite umzusetzen.

Konzentration auf Forschung und Entwicklung (FuE): Wir wollen Deutschland an die Spitze der innovativsten Nationen bringen. Als Schwächen gilt heute insbesondere das deutsche Bildungssystem, das zu wenige Akademiker hervorbringt und der Mangel an Risikokapital. Hinzu kommt das brachliegende Innovationspotential bei KMU. Um die Probleme des Klimawandels zu lösen und die Wirtschaft neu auszurichten, müssen wir die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit von Unternehmen beschleunigen. Die reine Projektförderung in der Bundesrepublik wollen wir durch eine unbürokratische steuerliche Forschungsförderung für KMU ergänzen. Alle Unternehmen mit bis 250 Mitarbeitern sollen künftig 15 Prozent ihrer Ausgaben für Forschung und Entwicklung als Forschungsbonus vom Finanzamt erstattet bekommen. Davon würden besonders die 90 % KMU der Chemischen Industrie profitieren.

Forschung und Entwicklung kann aber nur erfolgreich sein, wenn genügend qualifiziertes Personal zur Verfügung steht. Auch die chemische Industrie beklagt bereits einen Fachkräftemangel in hochspezialisierten Disziplinen wie der Elektrochemie oder den Materialwissenschaften. Die Bildungs- und Hochschulpolitik in der Bundesrepublik muss dringend modernisiert werden, damit der Bedarf an Ingenieuren und Wissenschaftlern gedeckt werden kann. Unsere Fraktion hat hier eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht.

Wachstumsfaktor Biotechnologie: Die Biotechnologie ist ein bedeutender Forschungszweig, auch für neue Unternehmen und Arbeitsplätze. Wir wollen die Potentiale der weißen Biotechnologie - also den Einsatz biotechnologischer Methoden für industrielle Produktionsprozesse - national und international auf Ebene der europäischen Union fördern. Denn ohne die weiße Biotechnologie ist der Weg zu einer nachhaltigen Chemie nicht denkbar. Für den Ersatz endlicher fossiler Brennstoffe durch Nachwachsende Rohstoffe wird sie ebenso benötigt wie für den Ersatz industrieller Prozesse durch biologische Verfahren. Durch (bio-) technologische Verfahren können z.B. in Bioraffinerien aus Pflanzen, Heu, Stroh, Holz- und Bioabfällen genauso wie bei der Erdöl-Verarbeitung in Raffinerien Ausgangsstoffe für eine Vielzahl von Produkten gewonnen werden. Auch hier steht die Forschung noch ganz am Anfang. Von Seiten der Politik ist vor allem ein Abbau von rechtlichen Hemmnissen bzw. Erleichterung bei der Zulassung von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen notwendig, ergänzt durch geeignete Marktanreizprogramme für deren Einführung. Wir wollen außerdem die Forschungsförderung für Bioraffinerien und für die weiße Biotechnologie als ganzes stärken.

Auch in der roten Biotechnologie, also der Anwendung der Gentechnik in der Medizin, liegen großen Wachstumspotentiale und brauchen wir Investitionen in Forschung und Entwicklung. Hier konnte Deutschland in den letzten 15 Jahren seine Position im internationalen Wettbewerb deutlich verbessern. Wir betonen aber: Die Einhaltung bioethischer Grundsätze, etwa im Bereich embryonaler Stammzellenforschung, darf nicht ökonomischen Zwängen untergeordnet werden. Für uns Grüne ist die rote Biotechnologie dann innovativ, wenn sie sich an ethische Maßstäben hält und am Wohl des Menschen orientiert ist.

Weiße und rote Biotechnologie gehören zu einer innovativen und nachhaltige Chemie. Anders die sogenannte "grüne" Gentechnik. Ihr Einsatz wird von uns Grünen im Einklang mit einem großen Teil der Bevölkerung abgelehnt. Agro-Gentechnik fördert Monokulturen in der Landwirtschaft, fördert Masse statt Klasse und zentralistische statt regionale Strukturen. Wir Grünen stehen für eine gentechnikfreie Landwirtschaft und für das Wahlrecht der Verbraucherinnen und Verbraucher.

Wachstumsfaktor Nanotechnologie: Ein besonders spannendes Technologiefeld ist die Nanotechnologie, in der sich Chemie, Biologie und Physik treffen. Viele Erwartungen verbinden sich damit, von Beiträgen zu Energie- und Ressourceneinsparungen bis zu neuen therapeutischen Ansätzen in der Medizin. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Nanowissenschaft einen bedeutsamen Beitrag zur Steigerung des nachhaltigen Wirtschaftens leisten kann. Damit ist sie eine Schlüsseltechnologie und Wachstumsbranche des 21. Jahrhunderts, die viele Arbeitsplätze verspricht. Nanotechnologie findet sich auch in vielen Alltagsprodukten - von der Sonnencreme über die Wandfarbe bis hin zu Lebensmitteln. Allerdings ohne dass die VerbraucherInnen es wissen. Denn eine Kennzeichnungspflicht gibt es bisher nicht.

Wir setzen uns dafür ein, die Forschung und Entwicklung der Nanotechnologie in den Bereichen auszubauen, in denen sie einen Mehrwert erwarten lässt, z.B. bei den erneuerbaren Energien oder Medizintechnologien. Doch die vielfältigen Chancen dürfen nicht den Blick auf mögliche Folgen und Risiken verstellen. Weder die Risiken bei der Herstellung, noch die bei Nutzung und Entsorgung sind bisher ausreichend erforscht. Neben einer Kennzeichnungspflicht für Produkte fordern wir vor allem, die Risikoforschung und Technikfolgenabschätzung zu intensivieren und zur verbindlichen Grundlage von Forschungsförderung zu machen. Daran muss neben der Wissenschaft auch die Wirtschaft selbst ein hohes Interesse haben, denn nichts würde dieser Technologie mehr schaden, als ihre Risiken zu verschweigen.

Wachsende Nachfrage für "grüne" Produkte: Klimaprobleme rücken ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Und dadurch erhalten auch die Lösungsansätze einen Auftrieb. Energetische Gebäudesanierung, Elektroantriebe, Abfallvermeidung, Verpackung aus nachwachsenden Rohstoffen sind nur einige Beispiele für Zukunftsfelder der Branche. Und auch die Verbraucher sind sich zunehmend bewusster, dass sie über ihr Konsumverhalten Einfluss nehmen können. "Green Packaging Score Cards", "Carbon Labels" und andere Öko-Kennzeichnungen sind Zeichen, das große internationale Handelsketten sich gezwungen sehen, zunehmend darauf zu reagieren. Doch noch stehen wir am Anfang der Entwicklung klima- und umweltfreundlicher Produkte und Technologien. Das alles eröffnet der chemischen Industrie neue Marktchancen, wenn sie konsequent auf eine Strategie der ökologischen Innovation setzt.

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