Die Politik hält das für eine Schrulligkeit der Jugendszene.
von Luise Flacke und Nikolai Wolfert
Der Soziologe Michael Lohmann über den Erfolg der Piratenpartei, Bürgerrechte und die Ignoranz der Volksparteien.
technik-politik: Die Piratenpartei verzeichnet seit ihrer Gründung 2006 einen steten Zuwachs. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Michael Lohmann: Fragen zur Datensicherheit und zum Datenschutz werden seit mindestens einem Jahrzehnt gestellt. Im Zusammenhang mit Bürgerrechten wurden diese Themen bereits während der Dotcom-Blase im Jahr 2000 beanstandet. Es wurde offensichtlich, wie anfällig die Rechnersysteme und Netzwerke sind. Und wie viel Möglichkeiten bestehen, mit Daten Schindluder zu betreiben. Nun gelangt die wachsende Internetszene zu der Einsicht, dass sie aktiv werden muss. Der Erfolg der Piratenpartei ist darauf zurückzuführen, dass eben diese Leute jetzt anfangen, Politik zu machen. Es genügt nicht mehr einen winzigen Blogartikel dazu zu schreiben. Im Gegenteil, sie begreifen, dass sie ernsthaft in die politischen Geschehnisse eingreifen müssen.
Dafür bedient sich die Piratenpartei der Feindbilder, wie "Zensursula" oder "Stasi 2.0".
Das kommt nicht von ungefähr. Von der Leyen und Schäuble fordern Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung. Sie begründen das mit drohendem Terrorismus in Deutschland und mit dem Kampf gegen Kinderpornografie. Doch diese Reglemen-tierungen betreffen uns alle. Wir werden per se als Täter verdächtigt. Das entspricht nicht der Realität und kollidiert mit unserem Grundgesetz. Es ist vielmehr ihr Versuch, das weitgehend autonome Medium Internet unter staatliche Kontrolle zu bringen. Das zeigt uns auch die Diskussion um das Urheberrecht.
Erzwingt damit die CDU das Übertragen gesellschaftlicher Strukturen in das Internet?
Ja. Sie versucht es. Jedenfalls bedient die CDU unter anderem die Urheberrechtslobby. Ein Beispiel: Es gäbe die Möglichkeiten, online wissenschaftliche Schriften zu publizieren, die mit Steuergeldern geschrieben wurden. Dritte müssen bislang für das Lesen Geld bezahlen. Das ist irrsinnig, weil Steuergelder schon enthalten sind. Man könnte sie für alle online zugänglich machen. Das gemeinsame, unentgeltliche Teilen von Wissen ist der Ansatz der Internet-Community. Die Piratenpartei setzt sich für die Reform des Urheberrechts ein. Sie problematisiert den Kommerz und die bestehenden Verwertungsketten. Sie hat eine andere Vorstellung davon, wie Kulturgüter im Internet verteilt werden und wer davon profitiert.
Warum greifen andere etablierte Volksparteien dieses Thema nicht auf?
Ich glaube, die etablierten Parteien haben das Problem nicht begriffen. Das Internet ist kein zweiter Staat, sondern ein autonomes Medium. Sie unterschätzen schlicht, wie sensibel viele Internetuser an dieser Stelle sind. Die Politik hält das für eine Schrulligkeit der Jugendszene. Sie denken, das sind freakige Computerheinis, die nicht aus ihrem Zimmer rauskommen und den ganzen Tag Pizza essen. Sie halten das für Überspanntheit, für pubertär, für ein Jugendphänomen. Und sie unterschätzen auch, wie stark inzwischen die Gesetzgebung in eine Sphäre übergreift, in der sich mittlerweile nicht nur junge Leute zu Hause fühlen. Sie sehen eben nicht das allgemeine Problem daran, das Politikum.
Sind Sie in der Piratenpartei?
Nein. Ich bin auch kein großer Freund von Parteien. Ich bin ein Verfechter des politischen Lobbyismus.
Was meinen Sie mit politischem Lobbyismus?
Dass man überall in allen Parteien und in allen gesellschaftlichen Bereichen diejenigen anspricht und zu Verbündeten macht, die ähnlich denken. Es ist doch so, wenn man in der Partei ist, muss man der Parteilinie treu bleiben und die Gegner bekämpfen. Deswegen kann man schlecht überparteilich und ausschließlich problemorientiert handeln. Das ist die Gefahr.
Die heiße Phase des Wahlkampfs hat begonnen. Wie nutzen die etablierten Parteien web 2.0?
Die Parteien sind in den sozialen Netzwerken präsent. Auf studivz oder Facebook machen sie eigene Gruppen auf, um Unterstützer zu sammeln. Somit kann jeder sehen, wie viel Tausend Unterstützer in einer Gruppe sind- nach dem Motto "Wir sind präsent und die Leute finden uns toll".
Dazu zählen aber auch Blogs.
Ja. Aber direkt bloggen? Ich glaube, dass Politiker eher auf Twitter zu empfangen sind als auf Blogs. Jedenfalls nicht Politiker aus der ersten Reihe. Was es aber gibt, sind Blogs von Leuten, die Politik vor Ort machen, wie die Jusos oder die Grüne Jugend. Sie sind unabhängiger und büchsen eher aus der Parteilinie aus. Sie beziehen sich im Netz kritisch auf Gesagtes von Parteikollegen.
Ein Beispiel: Matthias Güldner, grüner Fraktionsvorsitzender in Bremen, meint, dass Netzsperren toll seien. Julia Seeliger, Grüne Jugend, schreibt in ihrem Blog, dass sein Verhalten "parteischädigend" und "ignorant" sei. Das ist meiner Meinung nach Demokratie. Da ist eine gewisse Unbefangenheit bei der Jugend. Sie macht sich keine Gedanken, wie sich das im Wahlkampf auf die Umfragewerte auswirkt.
Julia Seeliger ist mit ihrem Blog "zeitrafferin" politisch aktiv. Ist das politische Internet ein geschlechter-demokratisches Medium?
Das könnte eins sein. Jedoch ist es im Politikbereich eher männerdominiert. Es wird ein Kardinalfehler begangen. Die Protestbewegung im Internet fokussiert sich zu stark auf technisches Know-How. Die Lager spalten sich in Internetuser und Internetausdrucker. Bei der Technik haben wir nun doch deutliche Geschlechter-unterschiede.
Die Geschlechterstereotype reproduzieren sich im Internet... (soziale Strukturen werden in technische übertragen)
Ja, definitiv. Der technische Bereich spricht stärker die Männer als die Frauen an. Und somit auch die damit verbundenen politischen Kontroversen. Das gilt es zu überwinden.
Was empfehlen Sie?
Man muss darauf aufmerksam machen, dass es hier nicht nur um bestimmte Technologie geht, sondern um das Leben im Allgemeinen. Wie wollen wir in diesem Staat leben? Was wollen wir für ein Verhältnis zu diesem Staat haben? Soll der Staat einfach so in meinem Schlafzimmer mithorchen dürfen? Oder soll er das eben nicht? Diese Fragen richten sich an beide Geschlechter aus allen Milieus. Man muss die Leute mobilisieren, sich zu solidarisieren. Daran arbeitet die Piratenpartei. Deshalb sehe ich sie nicht wie viele andere als Einthemenpartei. Aber Die Fixierung auf Feindbilder wie Zensursula ist organisationsbedingt. Sie stiftet durch gemeinsame Empörung Identität. Das mobilisiert die Leute, sich in der Partei zu engagieren, um letztendlich Grundrechtsfragen aufzuwerfen.
Das kommt in der Öffentlichkeit aber nicht so an. Was hilft, diese politische Botschaft transparenter zu kommunizieren?
Die Piratenpartei muss auch offline gehen. Sie muss auf der Straße aktiv werden. Sie könnte prominente Künstler gewinnen. Zum Beispiel gibt es von Den Ärzten das ironische Lied "Tu das nicht" über Raubkopierer. Zudem muss die Piratenpartei auch die klassischen Kanäle nutzen, wie das Fernsehen. Dann - denke ich - muss sie Bündnisse schmieden. Es gibt die Menschen, die sich für Bürgerrechte auch außerhalb des Cyberspace interessieren. Da muss sie einfach andocken. Zurzeit beschränkt sich die Partei zu sehr auf sich selbst. Das heißt natürlich auch, dass sie breiter in Fragen der Bürgerrechte aufklären muss. Das betrifft auch Laien, die "nur" eine Email senden oder die "nur" mit dem Handy telefonieren. Hier ist der Anschlusspunkt die Vorratsdaten-speicherung. Und nun haben wirklich viele ein Handy. Die Politisierung muss stärker werden. Es gibt wenig taktische, strategische Vorstellungen, wie man Einfluss nimmt, außer "Zensursula wollen wir nicht". Das sind noch alles keine echten Maßnahmen, um auf die Mehrheitsbildung am 27. September Einfluss zu nehmen.
Aus unserem bisherigen Gespräch ist offensichtlich, dass Internet und Politik immer stärker zusammenwachsen. Wünschen Sie sich in der Zukunft ein "Cyber-Parlament" und "Cyber-Abstimmungen?
Wenn ein Cyber-Parlament wie ein Parlament funktionieren würde, wiese es wahrscheinlich auch die Eigendynamiken eines Parlaments auf. Politik ist nicht das Problem einer moralisch verkommenen Kaste, sondern Politik ist ein systemisches Problem. Man muss dort um Macht kämpfen. Das würde in einem Cyberparlament genauso geschehen. Und das könnte auch zu einer Verdopplung der sowieso schon existierenden Politik mit ihren Schwächen führen.
Bis jetzt bietet das Web 2.0 durch Twitter oder Blogs interessante, politische Mitwirkungsmöglichkeiten. Ich kann als Bürger dieses Staates wenigstens verbal mitspielen und mich vernetzen. Es gibt viele interessante Blogs, die einen substanziellen Beitrag leisten. Wie der von Stefan Niggemeier, der auf bestimmte journalistische Fehlgriffe hinweist. Oder der "lawblog", bei dem ich mich juristisch fortbilde. Web 2.0 hilft, unsere Gesellschaft demokratischer zu machen. Aber Web 2.0 erledigt nicht das Problem, dass man sich organisieren muss und im realen Leben um seine Rechte kämpfen muss.
© Luise Flacke und Nikolai Wolfert, 09