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Nach dem Gesetz der Wölfe

von Kurt Rudolf Mirow

"Sicherung und Förderung der Ausfuhr" ist das gesetzliche Ziel der 14 bis zum 31.Dezember 1974 beim Bundeskartellamt, Berlin, registrierten sogenannten internationalen Exportkartelle der Elektroindustrie. Durch Marktaufteilung und Anwendung von Kampfmaßnahmen gegen Nichtmitglieder wollen die Kartellmitglieder weltweit ein hohes Preisniveau für ihre Produkte schaffen. Internationale Absprachen und Aufteilung der Märkte zwischen den Mächtigen bilden seit Ende des vergangenen Jahrhunderts die Grundlagen des explosiven Wachstum einiger weniger Konzerne und des kaum erklärlichen (?) Unterganges fast sämtlicher freier Initiativen. Heute bildet die Elektroindustrie eine der wirtschaftlich bedeutendsten Machtblöcke. Mehr als zehn Millionen Menschen werden beschäftigt.

Das Kartell in Deutschland

In einem Berliner Hinterhaus wurde am 1.Oktober 1874 die Telegrafenbauanstalt Siemens & Halske gegründet, aus der sich das heute weltbekannte Haus Siemens entwickeln konnte. Der Bau zahlreicher Telegrafenlinien sowie die kommerzielle Ausnutzung anderer spektakulärer Siemens-Erfindungen, wie Telefon, Elektromotoren, elektrische Lichtbogenöfen u.a. führten zum sprunghaften Wachsen des Betriebes, der im Jahre 1897 in Berlin schon über 10000 Menschen beschäftigte. "Ich glaube, es würde jetzt die richtige Politik sein, mit Edison Frieden in der ganzen Welt zu machen. Das wird uns zu Beherrschern der Elektroindustrie machen", schrieb Werner Siemens an seinen Bruder Wilhelm - ein Gedanke, der sich fast hundert Jahre lang bewähren sollte. Die Erfindung der Glühlampe in Nordamerika führte in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zur Gründung der deutschen Edison Gesellschaft, der späteren von Walter Rathenau genial geführten AEG. Dem amerikanischen, von Edison ausgearbeiteten Prinzip der Marktbeherrschung folgend, beschlossen Siemens und AEG 1883, auf unnütze Konkurrenz zu verzichten und gemeinsam den deutschen Markt auszubeuten. So begann auch in der Elektroindustrie die Zeit der großen deutschen Kartelle.

Ebenso wie die amerikanischen Konkurrenten liierte sich Siemens früh mit der Deutschen Bank zwecks Deckung des immensen Kapitalbedarfs. Personelle Verflechtungen der Firmen Siemens und AEG über Bankenaufsichtsräte wurden auch damals schon als nützlich empfunden. Arnold Siemens und sein Onkel Georg Siemens von der Deutschen Bank erhielten je einen Sitz im Aufsichtsrat der AEG. Die Verbindungen zur Deutschen Bank, von Georg Siemens 1870 mitgegründet und dann dreißig Jahre lang geleitet, erwiesen sich besonders in den Krisenjahren um 1910, als den meisten Gesellschaften im Rahen einer Rezession nur die Wahl "Konkurs oder Fusion" blieb, als besonders nützlich. So gelang es noch vor dem Ersten Weltkrieg unter der Oberaufsicht der Deutschen Bank zwei durch Kooperation verbundene absolut marktbeherrschende Großunternehmen zu schaffen, deren Stellung bis heute, Weltkriege und Krisen überdauernd, unangetastet geblieben ist.

"Diese Periode der Bündnisse ist charakteristisch für unsere Zeit, und darauf beruht nicht unerheblich unsere Prosperität", kommentierte der Chef des Hauses Siemens, Wilhelm von Siemens. Neben zahlreichen Preisabkommen hatten sich Siemens und die AEG in zahlreichen Kartellen verbündet, mit denen sie unter anderem die gesunkenen Preise für Glühbirnen endlich wieder, bei festgelegten Marktanteilen, erhöhen konnten.

Das Dritte Reich brachte dann zusätzliche Förderung deutscher Kartelle. Nachdem dann in der Nachkriegszeit, zum Ende der 50er Jahre, in Deutschland die Periode des stürmischen Wiederaufbaus abgeschlossen war, konnten, gemäß der traditionellen Bündnispolitik, AEG, Siemens und Brown, Boveri & Cie. Gemeinsam an die unschöne Arbeit des Marktbereinigens und Einfügens zahlreicher gesunder Mittelunternehmen in die Konzerne gehen. Es begann der große Ausverkauf und das Sterben der selbständigen, nach dem Krieg in Unkenntnis der wichtigeren weltweiten Vereinbarungen der eigentlichen Herren der Elektroindustrie aufgebauten Unternehmen.

So kommentierte ein AEG-Direktor 1974 den Konkurs der Hamburger Motorenfabrik Gustav Altmann KG: "Es war vielleicht nicht schön, aber es ging darum, Angebotskapazitäten dem Markt zu entziehen."

Allein der AEG gelang es, in wenigen Jahren über 50 namhafte Betriebe in die Einflußsphäre ihres überragend qualifizierten Managements einzufügen, um sie teilweise gleich an den Siemens-Bereich weiterzuleiten. "Der Reißverschluß Siemens-AEG wird langsam zugezogen", bemerkten Insider.

In gemeinsamer Übereinkunft konnten in den 50/60/70er Jahren EG, Brown, Boveri & Cie. und Siemens den bedeutenden einkommensträchtigen Markt er Eisenbahnelektrifizierung verwalten. Bonn deckte jegliches Defizit der Bundesbahn.

Internationale Vereinbarungen

Früh schon stellen die Gründer der einzelnen Elektrokonzerne fest, daß ein weltweiter Machtkampf selbstmörderisch sein würde. Sie beschlossen die elektrische Welt unter sich aufzuteilen. 1905 traf Siemens ein entsprechendes am 17. Oktober 1924 erneuertes Abkommen mit dem amerikanischen Westinghouse Konzern, und 1907 teilten AEG und General Electric ihrerseits die Welt in Einflußsphären auf. Man gestand sich gegenseitig Territorialschutz, bis heute gültige "Home Protection Agreements" (Heimat-Marktschutz-Abkommen), zu. Die Erde wurde ferner in Producing und Non-Producing Countries aufgeteilt - ein Zustand, den es mit allen Mittel zu erhalten galt. Patente und Entwicklungen wurden in einem Pool eingebracht, aus dem man sich gegenseitig die Lizenzen vergab (cross licencing).

Das Lampenkartell

Um der Elektroindustrie ein sicheres Gefüge zu geben, wurden nationale Vereinbarungen auf internationaler Basis festgehalten. Aus regionalen Glühlampenkartellen entstand am 24.Dezember 1924 die Phoebus S.A. "Compagnie Industrielle Pour Le Developpement De l'Eclairage", die weltweit Marktanteile, Preise und Lebensdauer für Glühlampen festsetzte. Obwohl formell nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst, bestanden und bestehen heute noch Glühlampenkartelle.

Zweimal, 1956 und 1966, verschaffte sich die französische CTE Comission Technique des Ententes et Positions Dominantes Einblick in die Praktiken des Lampenmonopols. Lieferquoten und Außenseiterbekämpfung bildeten das Rückgrat der 1943 und 1951 getroffenen Abmachungen. Verabredete Marktanteile mußten eingehalten, ihre Überschreitung streng bestraft werden Absatz 9 der unterzeichneten Protokolle besagt: "Die Vertragspartner verweigern Belieferungen von Außenseitern; Wiederverkäufer werden gezwungen, sich nur bei Bündnispartnern einzudecken."

Lebensdauer

In vielen Ländern hält sich außerdem nach wie vor die Auffassung, daß Lampenhersteller immer noch künstlich zur Hebung ihres Umsatzes, wie es in den 30er Jahren der Fall war, die Lebensdauer ihrer Lampen von 5000 auf 2000 Stunden verringert hätten. Tatsache ist, daß Normen den Lampen heute eine Brenndauer von 1000 Stunden vorschreiben.

Factory Committee (Komitee der Fabriken)

Hier wird das Auftreten unerwünschter Konkurrenten, besonders neuer Industrien in Niedriglohn-Entwicklungsländern, behandelt. Sich wöchentlich treffend, bestimmt man nach bestem Planwirtschaftsmodell, welchem Land man es gnädig gestatten könnte, Herstellerland, "Producing Country", zu werden. Selbstverständlich ist es völlig uninteressant, sich allzu viele künftige Konkurrenten aufzuhalsen. Die Know-how-Vergabe wir an strikte Kartellregeln gebunden. Üblicherweise jedoch verweigert man Know-how und beschließt, sich selbständig entwickelnde, nicht vom Komitee genehmigte Wettbewerber durch gemeinsame Kampfmaßnahmen auszuschalten, wobei die Exportinteressen der Mitglieder berücksichtigt werden müssen, d.h. eventuelle genehmigte Vasallen müssen sich auf enge Produktionsbereiche beschränken.

Kampfkomitees

Der Kampf gegen Außenseiter (non-members) wird vom Kampfkomitee geführt, das als erstes einen Kampfführer (fighting leader) einsetzt. Die Kampfmaßnahmen folgen einem gutausgearbeiteten "Instruction Book for Fighting Proceedings against Non-Members", wobei das Exportkomitee Nichtmitglieder in "specific and general outsiders" einteilt. Specific outsider sollen nur unterworfen und dem Kartell eingefügt werden, general outsiders müssen jedoch vernichtet werden.

Als specific outsider galten z.B. in den Jahren 1973 und 1974 polnische Kabelfabriken, deren mögliche Vernichtung auf Grund ihres staatlichen Rückhalts wenig wahrscheinlich war. Nach einem Ultimatum und ihrem Eintritt in das Kartell wies man ihnen eine kleine Exportquote zu.

Kampf und Vernichtung

Gemeinsame Kampffonds, deren Vorhandensein schon 1947 in den Vereinigten Staaten von der Regierung aufgedeckt wurde, dienen der Finanzierung des Vorgehens gegen Nichtmitglieder. Bei eventuell notwendiger Verschärfung des Vorgehens dürfen lokale Mitglieder auf eine allgemeine Reserve zurückgreifen. Ein am 29.August 1967 in Brasilien verabredetes, dem Muster eines deutschen Binnenkartells folgendes Transformatorenkartell, besagt kurz und bündig:

Absatz 24: Alle gemeinsam beschlossenen und abgegebenen Preise enthalten 2% für die Bildung eines Kampffonds.

Absatz 50: Nichtmitglieder werden systematisch bekämpft. Mitglieder lösen sich bei der Durchführung der Kampfmaßnahmen untereinander ab.

Die schweizerische Firma Brown, Boveri & Cie. überwies ihrer brasilianischen Tochter, fighting leader im brasilianischen Markt, zwischen 1966 und 1969 12 350 000 USD und 103 190 000 Schweizer Franken. Im Eifer des Gefechts hatte sich Brown, Boveri & Cie., Brasilien, übernommen. Bis zu 43,6% des Umsatzes und 78% des Kapitals wurden als jährlicher Verlust ausgewiesen, Konkurrenten jedoch bis zu 56,6% unterboten. Später entschuldigten sich die Schweizer vor Gericht: "Unsere Kostenrechnung haben wir erst 1970 eingeführt."

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