Die Paradoxie des technischen Fortschritts überwinden
von allen für alle
Die ideale Sprechsituation
Jürgen Habermas entwickelt ein fiktives Modell einer idealen Sprechsituation, die eine gültige Einigung im Sinne des kommunikativen Handelns ermöglicht. Er spricht auch von einem "utopischen Entwurf einer idealen Kommunikationsgemeinschaft". Wenn das kommunikative Handeln zentrale gesellschaftliche Funktionen übernimmt, muss auch das Medium der Sprache Aufgaben der substantiellen Verständigung übernehmen. Die Sprache dient somit nicht mehr nur der "Übertragung und Aktualisierung von vorsprachlich garantierten, sondern zunehmend auch der Herbeiführung von rational motivierten Einverständnissen [...]"
Die formalen Eigenschaften des Diskurses begründen nach Habermas, dass echte Einigung über Geltungsansprüche prinzipiell denkbar ist. Um wirkliche und wahre Verständigung zu erzielen, müssen die Sprecher die Ebene einer rein argumentativen Rede betreten, das heißt, eine ideale Sprechsituation voraussetzen, das heißt weg vom strategischen Handeln. In der idealen Sprechsituation ist jede systematische Verzerrung der Kommunikation ausgeschlossen, alle Handlungszwänge sind außer Kraft gesetzt und es setzt sich ausschließlich das bessere Argument durch. Die Bedingungen für eine ideale Sprechsituation in Bezug auf die Sprechaktklassen sind nach Habermas:
1. Alle potentiellen Teilnehmer eines Diskurses müssen die gleiche Chance haben, kommunikative Sprechakte zu verwenden, so dass sie jederzeit Diskurse eröffnen sowie durch Rede und Gegenrede, Frage und Antwort perpetuieren können.
2. Alle Diskursteilnehmer müssen die gleiche Chance haben, Deutungen, Behauptungen, Empfehlungen, Erklärungen und Rechtfertigungen aufzustellen und deren Geltungsanspruch zu problematisieren, zu begründen oder zu widerlegen, so daß keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und der Kritik entzogen bleibt. [...]
3. Zum Diskurs sind nur Sprecher zugelassen, die als Handelnde gleiche Chancen haben, repräsentative Sprechakte zu verwenden, d. h. ihre Einstellungen, Gefühle und Intentionen zum Ausdruck zu bringen.[...]
4. Zum Diskurs sind nur Sprecher zugelassen, die als Handelnde die gleiche Chance haben, regulative Sprechakte zu verwenden, d. h. zu befehlen und sich zu widersetzen, zu erlauben und zu verbieten, Versprechen zu geben und abzunehmen, Rechenschaft abzulegen und zu verlangen usf.
Durch die kontrafaktische Situation der idealen Sprechsituation, wie sie im herrschaftsfreien Diskurs vorausgesetzt wird, lassen sich Konsense herstellen, die die Bedingung für die Identitätsbildung in der modernen Gesellschaft darstellen. "Der Vorgriff auf die ideale Sprechsituation ist Gewähr dafür, dass wir mit einem faktisch erzielten Konsensus den Anspruch des wahren Konsensus verbinden dürfen."
Diskurse schaffen Kommunikation, d.h. symbolische Reproduktion. Nun geht es um die materielle Reproduktion, die durch das System vollzogen wird. Symbolische und materielle Reproduktion haben sich paradox (sinnentleert, freiheitsentziehend) entkoppelt. Es geht darum sie wieder miteinander zu verbinden.
Die ideale Technik
(Produktions-)Technik als materielle Reproduktion schafft (systemisch verzerrte) (Technik-)Waren. Als systemisch verzerrt kann geplanter Verschleiß erachtet werden, aber auch die (Technik- und Produktions-)Fixierung auf besonders Öl und im allgemeinen auf begrenzte Rohstoffe.
Es geht darum ein fiktives Modell einer idealen Technik zu ermöglichen, dass die eine gültige Einigung im Sinne der Technik (als materielle Reproduktion) ermöglicht. Es geht darum einen utopischen Entwurf einer idealen Technikgemeinschaft (auch im Internet) zu schaffen. Wenn das kommunikative Handeln in der Technik zentrale gesellschaftliche Funktionen übernimmt, muss auch das Medium der Technik Aufgaben der Demokratisierung übernehmen. Technik dient somit nicht mehr nur der "Übertragung und Aktualisierung von vorsprachlich garantierten, sondern zunehmend auch der Herbeiführung von rational motivierten Einverständnissen [...]".
Die formalen Eigenschaften des Diskurses (demokratische Bewertung) über Technik begründen, dass echte Einigung über Geltungsansprüche prinzipiell denkbar ist. Um wirkliche und wahre Technik zu erzielen, müssen die SprecherInnen (dann aber auch ProduzentInnen sein) die Ebene einer reinen (prinzipiell aber möglichen und machbaren) Technik betreten, das heißt, eine ideale Technik voraussetzen. In der idealen Technikvorstellung ist jede systematische (Profit- oder Herrschaftsorientierung der Produzenten) Verzerrung der Technik ausgeschlossen, alle Handlungszwänge sind außer Kraft gesetzt und es setzt sich ausschließlich das bessere Argument durch. Die Bedingungen für eine ideale Sprechsituation in Bezug auf die Sprechaktklassen sind analog zu Habermas:
1. Alle potentiellen MitarbeiterInnen einer Technik müssen die gleiche Chance haben, bei der Erarbeitung der Produktionstechnik und des Produktes sich einzubringen, so dass sie jederzeit neue Technikprojekte eröffnen sowie sich Rede und Gegenrede, Frage und Antwort um die Technik perpetuieren kann.
2. Alle TeilnehmerInnen müssen die gleiche Chance haben, Deutungen, Behauptungen, Empfehlungen, Erklärungen und Rechtfertigungen über die Technik aufzustellen und deren Geltungs- und Reproduktionsanspruch zu problematisieren, zu begründen oder zu widerlegen, so daß keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und der Kritik entzogen bleibt. [...]
3. Da SprecherInnen ZuhörerInnen entsprechen, muss in der idealen Technik die Produzentin dem Konsument entsprechen. Eine solche Position ist die/der ProsumentIn (vgl. Christian Siefkes).
Durch die kontrafaktische Vorausschau der idealen Technik, wie sie in der herrschaftsfreien Produktion vorausgesetzt wird, lassen sich Techniken herstellen, die die Bedingung für die Identitätsbildung (in Arbeit und Sprache) in der modernen (postdekadenten) Gesellschaft darstellen.
Berlin 2010