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Wozu Industrie?

von Nikolai Wolfert

Zwei Dimensionen müssen bei industriellen Komplexen betrachtet werden, die materielle und die politische, anders formuliert, die Wohlstands- und die Machtfrage.

Industrie verändert sozio-politische Strukturen.

Industrie hat die Funktion Wohlstand zu liefern. Medizintechnik, Landwirtschaftstechnik, Produktions- und Automationstechnik haben große Schichten der Gesellschaft um Lebensjahre, Lebensmittel und Waren bis an die Grenzen kultureller und ökologischer Vernunft bereichert. Der steigende Wohlstand ist Ergebnis wachsender Industrialisierung, Technisierung und Automatisierung. Seit dem 19.Jahrhundert weiß jede und jeder, dass trotz wachsender Produktivität Wohlstand nicht bei allen ankommen muss. Von den reichen Ergebnissen der Produktion werden die bedacht, die privilegierten Zugriff (also Macht) über Technik in Landwirtschaft und Industrie haben. Heute besteht genug Produktivität (gar Überproduktivität) um alle zu versorgen. So meint Jean Ziegler zu Recht: „Jedes Kind, das an Unterernährung stirbt, wird getötet.“ Die Frage nach der Verteilung von Gütern der Industrie ist eine politische. Klassisch wurde sie gelöst im Verteilungskampf zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern.

Industrie erhält sozio-politische Strukturen.

Industrie hat ebenso die Funktion Herrschaft zu erhalten. Industrialisierung ermöglicht soziale Differenzierung. Manche bleiben trotz industriellen Wachstums arm, andere werden durch Kontrolle über Produktionsmittel unendlich reich und mächtig. Technik ist Mittel zur Durchsetzung von Interessen. Dann ist Technik nicht mehr neutrales Ding, sondern wird instrumentalisiert für Herrschaftsinteressen. Herrschaftsinstrumente wie Bürokratien sind spätestens seit Max Webers Thesen zum rationalen Charakter des Westens in Herrschaft und Wirtschaft bekannt. In der Umschreibung von Bürokratisierung benutzt Weber mechanistische Metaphern. Um Technik als Herrschaftsinstrument zu verstehen, müssen Webers symbolisch-abstrakte in materielle Mechanismen umgedeutet werden.

Letztlich muss Technikpolitik wirksam werden, wenn es zu Legitimationskrisen in der Industrie kommt, wenn Wohlstandsverteilung oder Machtausübung durch die Industrie nicht mehr als legitim und legal wahrgenommen werden, die industriellen Interessen über ihr funktionales Maß hinausgehen und in Interessensbereiche der Gesellschaft (Erziehung, Wissenschaft, Umwelt) eindringen. Die industriellen Privatinteressen kollidieren und konkurrieren mit dem Interesse der breiten Gesellschaft. Spätestens dann muss die Funktion von Industrie und Technik politisch begrenzt und mitgestaltet werden.

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